Frugalismus beim Start ins Berufsleben – wie man früh die Weichen für die Finanzielle Unabhängigkeit stellt

Dieser Post ist für diejenigen, die gerade für Ihren Bachelor oder Master studieren und bald ihre ersten Schritte ins Berufsleben machen. In Deutschland, wo das Studium zumindest an den öffentlichen Universitäten noch relativ kostengünstig ist, werden die wenigsten größere Schulden zum Start haben. In den USA, aber auch in Großbritannien kommt es inzwischen vor, dass Mittzwanziger über 100.000 USD Schulden bis zum Ende des Studiums anzusammeln. Es ist mit Sicherheit einer der größten Vorteile des Deutschen Ausbildungssystems, das man hier noch ein sehr wertvolles Studium (fast) umsonst bekommt.

Diesen schuldenfreien Absolventen(manchmal auch nur dank der Unterstützung der Eltern und dem ein oder anderen Ferienjob) rate ich eindringlich, die ersten zarten Einkünfte zu nutzen um sich ein Polster aufzubauen. Dies ist möglich indem man versucht trotz Gehalt seine Kosten zu halten.

Die Kunst besteht darin, langsamer mit den Ausgaben von der Bremse zu gehen als mit den Einnahmen. Idealerweise lebt es sich erst einmal mit studentischem Budget weiter. Hilfreich ist dabei ein klares Ziel, bei mir war es zum Beispiel das ansparen für meinen MBA. Bei Kollegen war es die Weltreise vor dem 30. Geburtstag, bei den konservativen mag es die Anzahlung für den Kauf einer eigenen Wohnung sein.

In jedem Falle ist die Devise die Maximierung des verfügbaren Einkommens und die Minimierung der Kostenbasis. In Städten mit hohen Mietkosten wie London ist es bis zur Gründung eines gemeinsamen Hausstandes mit dem Lebenspartner vollkommen normal – auch für Anwälte und Investmentbanker – in Wohngemeinschaften zu leben. In Italien wohnen die meisten unter 30-Jährigen sogar noch bei den Eltern (Was ich für exzessiv frugal halte), zugegebenermaßen meist auch nicht wirklich freiwillig. Aber eine WG ist lustig, man lernt immer neue Leute kennen, spart viel Geld und kann oft größer und zentraler wohnen, als in überpreisten Appartmentwaben.

Idealerweise sieht der angehende Frugalist auch von der Anschaffung eines überteuerten Rollstuhls (Kredit an Mr. Money Mustache) aka eines KFZ ab. Das Geld was durch günstiges Wohnen und günstiges Radeln gespart wird, sollte direkt in einen ETF-Sparplan gehen, und zwar mit Dauerauftrag direkt Tage nach Eingang des Gehalts.

Dieses Konzept nennen unsere Freunde aus den USA „Pay yourself first“. Das schöne daran ist, dass man gar nicht dazu kommt, große Anschaffungen oder teuere Städtereisen zu planen, weil das Geld nie auf dem Hauptkonto erscheint. Es geht, wie die Miete oder die Steuern, einfach weg. Im Hintergrund baut sich aber mit bezwingender Logik und riesigen Auswirkungen der Zinseszins-Effekt auf. Die Aktien und die re-investierten Dividenden fangen an für einen zu arbeiten. Und zwar 24 Stunden am Tag. Und als allererstes entsteht der Dave Ramsey Emergency Fund, Geld, das die Financial Independence Bewegung zart umschreibt mit FU-Money. Ein finanzielles Polster, das es dem Eigentümer erlaubt, leicht höhere Risiken zu gehen.

Um im Job oder im Unternehmen positiv aufzufallen ist es hilfreich, wenn die Abhängigkeit von den Einkünften nicht zu hoch ist. Geringe Kosten plus FU-Money geben die Freiheit, Risiken zu gehen, auch mal eine unangenehme Wahrheit sagen zu können. Wer problemlos ein Jahr Südostasien einlegen könnte, mit den Tausenden von Euro die sich in den ersten Jahren angesammelt haben, der legt ein höheres Selbstbewusstsein an den Tag. Eine Gehaltsverhandlung, bei der man nicht von der Gnade des Arbeitgebers abhängt, weil sonst einen Monat später das überdimensionierte Auto gepfändet wird, sondern bei der man aus einer Position der Stärke heraus seine Forderung stellt, lässt den Chef Führungspotential vermuten.

Das vermeiden von Lifestyle-Inflation, das automatisierte Ansparen und der Zinseszins-Effekt machen die ersten Jahre nach dem Studium so extrem effektiv. Denn durch die Angewohnheit, Geld als Energie, als Freiheit zu verstehen, kommen viele weitere angenehme Effekte hinzu.

Man lernt Leute kennen, die auch mehr Wert auf Sein als auf Schein legen. Das Schmeißen von Runden in Bars um das andere Geschlecht zu beeindrucken mag in St. Gallen zu Applaus führen, aber macht nicht wirklich glücklich. Genauso wenig das Shoppen von extrem teuren Markenklamotten um damit wiederum zu signalisieren, was man für ein solventes Wesen ist. Die besten Abende kosten wenig und machen trotzdem Spass, wie ein gemeinsamer Grillabend, auf öffentlichen Plätzen Fussball spielen oder zu mehreren joggen gehen. Man bleibt gesund und sportlich, schließlich ist Sport eine der günstigsten Arten, eine gute Zeit zu haben. Zusammen mit Freunden eine Radtour zu machen, gemeinsam Klettern zu gehen kostet alles wenig und macht extrem viel Spaß.

Diese Aggregation von vielen kleinen Gewinnen, dieses Aufbauen von gesunden und sparsamen Gewohnheiten erlaubt es aus einer Position der Stärke heraus zu leben, zu arbeiten und unabhängig von Rente oder Sozialhilfe sein eigenes selbstbestimmtes Leben zu führen. Und wer erinnert sich dann nicht gerne an die wunderbaren Studentenjahre zurück, bei denen mit wenig Geld und viel Zeit bleibende Erinnerungen und Freundschaften geschaffen wurden.

5 thoughts on “Frugalismus beim Start ins Berufsleben – wie man früh die Weichen für die Finanzielle Unabhängigkeit stellt”

  1. Moin,

    mit großem Interesse habe ich die bisherigen Einträge hier gelesen. Ich spiele auch aktuell mit dem Gedanken in Richtung FIRE zu gehen. Allerdings fehlen mir hier die „Startpunkte“. Hast du vielleicht Empfehlungen für Tools mit denen man sich eine Übersicht über Einnahmen / Ausgaben verschaffen kann? Wie bist du hier vorgegangen, was waren deine ersten Schritte?

    VG und einen guten Rutsch,
    Tobias

    1. Hallo Tobias,

      Das ist eine sehr gute Frage und sicher mal einen eigenen Post wert, ich schicke Dir eine Mail, sobald ich den fertig habe. Ganz kurz zusammen gefasst, würde ich versuchen, das eigene finanzielle Leben wie bei einer Firma mit einer monatlichen Gewinn und Verlustrechnung zu versehen, also Einnahmen und Ausgaben aufzuschreiben und über die Zeit zu analysieren. Und auch eine monatlichen Bilanz zu erstellen, also Aktiva und Passiva zu tracken – alles was einen gewissen Wert hat aufzählen und bewerten, also auch das Auto abschreiben etc. Für den ein oder anderen ist ein Budget hilfreich, also eine Planung. Das spannende an jeder Planung ist immer die Abweichung zum IST und die Analyse der Gründe für die Abweichung. Mehr dazu in einem separaten Post.

  2. ein toller Beitrag! Heute legen recht viele junge Menschen Wert darauf, dass sie „scheinen“. Ich kenne zu viele Studenten, die teure Kleidungsstücke und Schmuck besitzen, aber ganz wenig Geld gesparrt haben und langweiliges Leben führen. Instagram bestärkt sie darin, dass sie alles richtig gemacht haben. Bullshit! Seitdem ich arbeite (seit dem 6. Semester), lege ich Geld beiseite. Ich brauche einfach das Gefühl, dass ich in einer Notsituation mich keine großen Sorgen machen muss. Ich brauche nicht ständig zu reisen, am jeden Wochenende in den Club zu gehen usw. Kleine Dinge machen auch viel Spaß!

    1. Hi Eva,

      einer mein Professoren hat uns geraten, idealerweise ein Jahr an Lebensunterhalt in liquide verfügbaren Assets zu halten, so dass wenn etwas ist, man ein Sicherheitspolster hat. Daran habe ich mich immer versucht zu halten. Ich bin nicht auf mein Gehalt angewiesen um die nächsten Monate auf gleichem Niveau zu leben und kann dadurch meine Entscheidungen langfristiger treffen. Mich kann man auch nicht so leicht unter Druck setzen, das ist mir wichtiger als Eindruck zu schinden mit teueren Reisen. Da gerade zum Start des Berufslebens und schon während des Studiums Weichen gestellt werden, kann man dann eben auch die risikoreichere Variante wählen, die aber einen höheren Gesamtwert verspricht.

Schreibe einen Kommentar zu Christian Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert